Kurz darauf konnte ich mit Thomas einen Freund davon überzeugen sich auch anzumelden. Er hat zwar deutlich mehr Marathon-Erfahrung, dafür aber nicht allzu viel mit Steigungen am Hut. Aber auch für ihn war der Reiz des Besonderen so direkt vor der Haustür groß. Mit Christoph konnte ich auch noch eine Bekanntschaft vom letztjährigen Drei-Zinnen-Lauf für eine Anmeldung gewinnen (leider musste er dann verletzungsbedingt kurz vor dem Rennen absagen). Ein bißchen Gruppendruck ist eben immer hilfreich damit man in der langen Vorbereitung bei der Stange bleibt.
Die diesjährige Laufsaison war dann aber doch ziemlich durchwachsen, da mich über wieder neue Wehwehchen zu längeren Trainingspausen zwangen (Infekt vor dem Karwendel-Berglauf; dann wochenlange Pause wegen gebrochenem kleinem Zeh). Anfang September hatten wir jedenfalls zwei Wochen Sardinien-Urlaub gebucht und ich freute mich richtig jeden Tag neue Trails im Hinterland zu erkunden und dann auch endlich die ach so nötigen langen Läufe ins Training einzustreuen. Da aufgrund unseres Ryan Air-Flugs das Gepäcklimit schneller als gedacht erreicht war hatte ich keinen Trinkrucksack sondern lediglich meine Salomon S-Lab Sense Hydro Trinkhandschuhe mit Soft Flasks dabei. Schlechte Prioritätensetzung wie sich herausstellte. Angsichts der hohen Temparaturen und ausgetrockneten bzw. nicht vorhandenen Wasserquellen waren daher keine Läufe deutlich über einer Stunde möglich. Der GAU trat dann aber am Ende des Urlaubs ein: bei einem Ausflug in eine Tropfsteinhöhle trug ich meine kleine Tochter und auf einem der letzten Treppenschritte fuhr es mir teuflisch in die rechte Ferse. Ich konnte vor Schmerzen kaum noch auftreten. Verdammte .....!
Wieder zu Hause drückte ich mich erstmal wie immer um einen Arztbesuch und beschränkte mich auf Selbstdiagnostik mit Hilfe von Dr. Google, hatte dann aber doch erhebliche Befürchtungen, daß es ein Fersensporn sein könnte. Eigentlich sollte man sich nicht auf den einschlägigen Läufer-Foren herumtreiben - da wird man noch komplett paranoid. Da ich mich aber nicht damit abfinden wollte, daß ich sowieso nie mehr im Leben richtig laufen kann (einhellige Foren-Meinung) ging ich auf Empfehlung von Thomas zu einem Osteopathen in Schriesheim, der auch Läufer bzw. Triathlet ist. Es bestätigte sich dann relativ rasch die Vermutung, daß ich in den 2 Wochen Sardinien durch die fast täglichen Trailruns einfach die rechte untere Wadenmuskulatur überlastete und sich entsprechend die Achillessehne entzündete. Konsequenz also nolens volens Trainingspause und extentrische Dehnübungen für die untere Wadenmuskulatur.
Da ich eigentlich nur noch einen Monat bis zum Trail Marathon Zeit hatte, war die unausgesprochene weil unangenehme Wahrheit, daß das wohl nichts wird. Ich hatte schließlich keinen einzigen langen Lauf über 20 km in den Beinen. Ganz sachlich betrachtet war da in diesem Jahr nur der Heidelberger Halbmarathon Anfang Mai und dann die 37 km Teildistanz beim Duomarathon in Mannheim mit Caro zwei Wochen danach. Schöne Scheiße! (entschuldigt die direkte Wortwahl, aber mir fällt keine treffendere Umschreibung ein)
Also war neben Mountain Bike-Einlagen vor allem Hoffen und Dehnen angesagt. Nachdem die Schmerzen zunehmend abklangen, stand dann Ende September doch der erste Lauftest an. Und siehe da: nach 2-3 Minuten war der initiale Schmerz "rausgelaufen" und mit zunehmender Distanz spürte ich immer weniger. Nach dem Lauf verhärtete sich die Muskulatur zwar, aber das war ziemlich sicher auf die Schonhaltung zurückzuführen. In der ersten Oktober-Woche waren wir dann nochmal auf einem Kurztrip in Norditalien, den Caro und ich u.a. für einen Gipfelversuch des Pizzo Coca in den Bergamasker Alpen nutzen. Wegen bescheidenem Wetter konnten wir dem Coca zwar nicht aufs Haupt steigen, aber dennoch konnten wir ordentlich Höhenmeter sammeln.
Ab der zweiten Oktober-Woche stieg ich dann aber doch wieder voll ins Lauftraining ein. War ja auch allerhöchste Eisenbahn! Am 13. Oktober, d.h. 2 Wochen vor dem Renntermin, stand dann mit Thomas der erste lange Lauf auf einer Teilstrecke der Renndistanz an - insgesamt ca. 32 km und alles lief wunderbar. Das tat der Psyche echt gut! Natürlich spürte ich die Achillessehne danach etwas, aber es hielt sich wirklich in Grenzen.
Mein Restprogramm beinhaltete dann noch als letzte "scharfe" Einheit die Teilnahme am Bad Dürkheimer Berglauf am 19. Oktober. Mit 8,7 km und 510 Höhenmetern stellt dieser nur eine kurze Belastung dar, aber ich wollte unbedingt nochmal schnell und hart unterwegs sein. Außerdem ist die Strecke absolut klasse - meiner Meinung nach der schönste der Pfälzer Bergläufe. Tags darauf musste ich dann aber doch noch meinen zweiten langen Lauf - wieder auf einem anderen Teilabschnitt der Renndistanz - absolvieren. Wieder 32 km mit echt gutem Gefühl. Ich weiß natürlich, daß eine solche Distanz eine Woche vor dem Rennen echt nichts mit optimaler Trainingsplanung zu tun hat, aber für mich war es neben des zusätzlichen Ausdauertrainings auch wichtig das Selbstvertrauen zu tanken, daß die Marathon-Distanz auch mit 1.500 Höhenmetern (mittlerweile vom Veranstalter offiziell korrigiert) nicht nur wandernd machbar ist.
Und hier endet meine Vorbereitungs-Saga.
Samstag, 26. Oktober, 18 Uhr: Die Kinder sind schon bei Oma und Opa untergebracht und Caro und ich radeln nochmal abends gemütlich in die Heidelberger Altstadt um die Startunterlagen abzuholen. Noch bin ich total entspannt. Danach keine Pasta, aber Sushi im Urban Kitchen. Abends noch die Qual der Wahl bezüglich des Schuhwerks. Ich laufe nur Salomon und La Sportiva. Nach einem kurzem Grip-Test auf der Straße vorm Haus entscheide ich mich für die Salomon Fellcross. Da ich aufgrund des Regens der vorherigen Tage einige rutschige Laubpassagen erwarte, erhoffe ich mir von den Fellcross optimalen Grip in den Downhill-Passagen. Am Wochenende zuvor bin ich in Bad Dürkheim noch die S-Lab Sense gelaufen, damit aber auf feuchten Kopfsteinpflaster-Passagen ziemlich gerutscht. Ansonsten Montura Run Shirt und Skinfit Vento Running Shorts. Eindeutige Sache.
Sonntag, 27. Oktober, 6:30 Uhr: D-DAY!!!! Zum Frühstück nur ein Nutella-Brötchen und eine Banane reingedrückt. Dazu einen Espresso. Trinkgürtel gerichtet mit zwei Flaschen Wasser in denen ich SaltStick Caps aufgelöst habe. Zum Essen stecke ich CLIF Shot Bloks ein (Orange mit extra Koffein). Auf der Strecke soll es zwar zur Genüge Verpflegung geben, aber Gels finde ich grundsätzlich widerlich und ich brauche Notfallfutter ("wenn's mal wieder länger dauert"). Thomas steht kurz nach 7:30 Uhr vor der Tür zum Abholen bereit. Er hat noch einen Bekannten dabei und wir fahren mit dem Auto nach Neuenheim und parken dort in der Bergstraße. Von dort laufen wir dann am Neuenheimer Neckar-Ufer entlang und nehmen die Altstadt über die Alte Brücke ein. In etwas mehr als einer Stunde werden wir deutlich schneller in die entgegengesetzte Richtung laufen.Wir haben aber noch viel Zeit und können uns nicht so recht von der warmen Überbekleidung trennen. Es ist zwar noch ziemlich kalt, aber immerhin trocken. In der Nacht davor hatte es nochmal geregnet und die Strecke ist auf den reinen Waldabschnitten sicher rutschig. Aber das Wetter-Timing für das Rennen scheint dennoch perfekt zu sein. Der Regen-Radar im Internet sagt zumindest die ersten Tropfen erst ab 14 Uhr voraus. Das würde genau mit der von mir kalkulierten Zielzeit von 5 Stunden zusammenfallen. Mal sehen wie es kommt...
Wir laufen uns im Innenhof der neuen Universität windgeschützt warm und geben dann unsere Taschen mit den Wechselsachen ab. Aus dem Gebäude raus werden wir gleich in den Startkanal geschleust. Thomas sortiert sich im zweiten Startblock ein, ich dagegen im vorletzten.
Dann der Startschuß! Die Nervosität steigt jetzt doch etwas - ich spüre leicht den Adrenalin-Pegel steigen. Eigentlich sollten die Blöcke in 5 Minuten-Abständen starten, aber nachdem die vorderen Blöcke wohl eher dünner besetzt sind, werden wir doch schon zwei Minuten später kollektiv auf die Reise geschickt. Ich bin einen Moment perplex, aber befinde mich sofort im Sog des großen Feldes. Und ab gehts gleich links durch die Fussgängerzone auf unangenehmen Kopfsteinpflaster. Kurz vor dem Bismackplatz werden wir nach links in die Plöck geleitet. Das Tempo ist wie meist bei solchen Rennen auf dem ersten Kilometer zu hoch. Ich versuche mich zu zügeln, aber das Adrenalin wirkt schon und so lange es locker läuft lasse ich es laufen. Dafür, daß wir durch die Altstadt kreisen, ist aber relativ wenig Publikum da - ist eben doch noch früh. Egal, über den Marktplatz, um die Heiliggeistkirche und dann durch die Steingasse auf die Alte Brücke. Dort richtet sich der Blick schon kurz nach oben Richtung Heiligenberg - der erste "Gipfel" am heutigen Tag. Komischerweise ist hier schon die erste Trinkstation aufgebaut - ich schwitze noch nicht mal.
Kurz nach der Brücke joggen auf einmal zwei Jungs ganz locker neben mir und der Eine fragt mich doch tatsächlich was hier los wäre. Wie bitte?? Ich bin zuerst nicht sicher ob er mich verschaukeln will - er befindet sich schließlich im Pulk von Hunderten von Läufern. Höflich wie ich bin erkläre ich, daß es sich um einen Trailmarathon mit 1.500 Höhenmetern handelt und daß er, wenn er mitmachen wolle, in 100 Metern einfach links den Berg hoch abbiegen müsse. Er faselt dann seinem Kumpel auf Englisch dann tatsächlich etwas von "it's some extreme race" zu. Klassisch verlaufen. Und Tschüß - jetzt wird es wirklich Ernst.
Abbiegen in die Hirschgasse und es geht in die erste Steigung des Tages. Erst noch sanft, aber mir sehr vertraut - ich laufe an unserer alten Wohnung vorbei. Früher bin ich hier regelmäßig gleich den Hügel hoch gestartet. Es geht dann aber nicht direkt in den Wald hoch sondern in einem linken Schwenk auf der immer schmäler und steiler werdenden Gasse nach oben. Hier wird es jetzt unangenehm, da viel zu eng und die meisten schon in den strammen Gang gewechselt haben. Die Ersten stehen auch tatsächlich schon und keuchen wie die Gäule. Wo soll das enden? Irgendwie rangele ich mich am rechten Rand durch und überhole was geht. Da ist auf einmal auch schon Thomas, der sich für den restlichen Anstieg bis zum Philosophenweg an mich dranhängt.
Ursprünglich war die Streckenführung anders geplant: gleich nach der Alten Brücke sollte es den Schlangenweg auf den Philosophenweg hoch gehen. Das ist ein Treppenaufgang der meist gerade mal 1,5 Meter breit ist. Ich hatte mich in der Vorbereitung schon gefragt, wie der Veranstalter sich vorstellt 2 km nach Start hier das ganze noch nicht gestreckte Feld durchzupressen. Aus meiner Sicht wäre das ein unverantwortliches Sicherheitsrisiko gewesen. Die neue Führung an der alten Heimat vorbei begrüsste ich daher sehr.
Auf dem Philosophenweg feuern uns etliche Touristen an. Thomas zieht in der Ebene das Tempo wieder stramm an, aber ich muß einfach noch den herrlichen Ausblick auf die Altstadt genießen. Mittlerweile scheint die Sonne richtig knackig und mir ist schon fast zu warm. Jetzt scharfe Rechtskurve und es geht in eine knackige Steigung Richtung Bismarck-Säule. Das liegt mir und ich kann in lockerem Trab jetzt viele Läufer überholen. Wir lassen den Asphalt hinter uns es zieht sich jetzt bei konstanter Steigung weiter über Waldwege auf den Heiligenberg hoch. An der Waldschenke wartet die erste Verpflegungsstation. Ich drinke in Ruhe so ein Iso-Gesöff (widerlich, aber wenn's hilft) und drücke eine Banane rein. Weiter zur Thingstätte - der erste verabredete Treffpunkt mit Caro. Wir entern die Thingstätte durch den Hintereingang und laufen über die Bühne zum Treppenaufgang runter und nehmen dann die über 178 Stufen in Angriff. Standesgemäß beschallt mit "Stairway to Heaven"! Ich sehe Caro auf der linken Seite, winke ihr zu, aber irgendwie sieht sie mich nicht und ruft stattdessen Thomas zu, der etwas hinter mir ist. Sie ist total perplex als ich ihr fast ins Gesicht springe - klar, sie dachte ich wäre in meinem Startblock 10 Minuten hinter Thomas gestartet und hat mich noch lange nicht erwartet.
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Auf den Treppen der Thingstätte |
Oben angekommen umkreise ich die Michaelsbasilika und dahinter geht es ein kurzes aber echt scharfes Trailstück bergab. Ich kenne das Teilstück vom vorherigen Wochenende und genau dafür habe ich meine Fellcross an den Füssen: es geht jetzt sehr eng, teils matschig, durch viel loses Geröll das mit Laub überdeckt ist. Das ist die astreine Gelegenheit Umzuknicken und sich alle möglichen Bändern zu reißen. Ich lasse es aber voll laufen und fühle mich wie eine Gams. Hochgefühle kommen auf. Geil!
Danach geht es wieder auf einem Waldweg stetig bergan zur Holdermannseiche. Dort beginnt die erste längere Downhill-Strecke. Auf breiten Waldwegen kann ich es ins Handschuhsheimer Mühlental runter rollen lassen. Hat was von einer Schußfahrt auf einer planierten Pistenautobahn. Ich muss aufpassen, daß ich nicht überpace, hatte ich mir doch vorgenommen in den Abwärtspassagen in einen lockeren Flow zu kommen und so gut wie möglich zu relaxen. Die 10 km-Markierung hinter mir lassend passiere ich die nächste Verpflegungsstation. Hier ist ordentlich was los - klar: die erste Wechselzone für die Staffeln. Sofort geht es in die nächste Steigung und ich fresse auf Handschuhsheim herabschauend Höhenmeter für Höhenmeter. Das Feld ist jetzt doch schon deutlich auseinandergezogen, aber ich finde vor mir einen etwas schnelleren Läufer in grell-orangenem Shirt, an dem ich mich orientiere. Anfangs noch auf Asphalt geht es im Wald in den sogenannten "Schrägen Weg" über und die Steigung wird heftiger. Ein erstes Liebäugeln mit dem Gehschritt kann ich noch verdrängen und reisse mich zusammen. Es tut jetzt zwar schon etwas weh und ich fühle mich echt langsam. Die Tatsache, daß ich langsam laufend aber dennoch etliche "Fußgänger" überhole motiviert mich durchzuhalten. Knapp unterhalb des Hohen Nistler kann ich es bei leichtem Gefälle wieder rollen lassen. Links im Wald sehe ich eine als Streckenposten engagierte Studentin, die die Läufer mehr oder minder komplett ignoriert und voll in ihre mitgebrachte Literatur vertieft ist. Vermutlich hält sie uns für hirnfreie Illiteraten.
Wir treffen wieder auf das Ende des Mühlentals, wo nochmal eine Tankstelle aufgebaut ist. Ich neutralisiere mein Flüssigkeitsdefizit und jetzt geht es endlich in ein richtig knackige Trailpassage. Schmal, wurzelig und einigermaßen steil geht es bergan. Das ist jetzt wieder mein Terrain und ich ziehe wieder an vielen anderen vorbei. An der Kreuzung der "Sieben Wege" angekommen geht es leicht abwärts und dann wieder scharf rechts auf den Trail, der zum Gipfel des Weissen Steins hoch zieht. Das ist totaler Home Turf für
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Verpflegungsstation Weisser Stein |
Jetzt beginnt der langweiligste und somit vielleicht auch psychisch schwierigste Teil des Trail Marathons. Zunächst zieht es sich noch über Waldwege mehr oder minder eben Richtung "Langer Kirschbaum". Vorher ist noch ein kleines Schlammstück zu meistern. Machen die hier einen auf Strongman Run? Nach Überqueren der von Wilhelmsfeld kommenden Straße bei ca. 20 km geht es in ein gefühlt unendlich langes Teilstück durch die Wälder oberhalb von Ziegelhausen. Erst flach, dann länger bergab zieht sich die Strecke. Ich laufe auf einmal wieder mit dem Typen mit dem grell-orangenen Shirt, der mir irgendwann vorher enteilt war. In den eher ebenen Stücken tue ich mich komischerweise schwer. Vermutlich bin ich gar nicht so langsam, aber ich merke jetzt einfach daß es schon eher auf die 30 km-Marke zugeht.
Kurz bevor wir in Ziegelhausen in den Ort kommen, passieren wir noch einen der Sandstein-Kletterfelsen. Die Routen sind hier alle durchweg in Schwierigkeitsgraden über VI und somit eher nichts für meine Preisklasse. Der Fels übt trotzdem einen eigenartigen Reiz auf mich aus und ich denke daran, daß hier in den 70er Jahren Reinhard Karl die ersten Routen gegangen ist. Schon hat uns aber die Stadt wieder geschluckt und ich überquere auf der Brücke den Neckar. Hier ist wieder ordentlich Betrieb und ich genieße es von Zuschauern mit meinem Namen angefeuert zu werden. Da ich mich freuend zurücklache bekomme ich gleich nochmal eine Extra-Anfeuerung. Go, go!
Nach der Bahn-Unterführung kommt die nächste Verpflegungsstation - jetzt erstmals mit Cola, die ich mir gleich reinziehe - und dann auch gleich die vierte Wechselzone der Staffeln. Und dann wird es erstmal einsam. Jeder weiß, daß nun der letzte lange Anstieg zum Königstuhl ansteht. Durch das Wohngebiet geht es zunächst zäh aufwärts. Ich merke, daß ich immer langsamer werde und mir wird klar daß es nicht mehr lange dauert, bis ich das erste Mal in den Gehschritt wechseln muß. Zwar habe ich die ganze Zeit vermieden auf meine Suunto Ambit zu schauen, aber ich merke, daß ich sowieso deutlich schneller als erwartet unterwegs bin. Daher sollte es absolut ok sein, wenn ich bereits vor der Himmelsleiter etwas gehe. Ich ziehe aber noch in den Wald rein und rette mich in ein etwas flacher ansteigendes Wegstück. Bald zweigt es aber in einen Trail ab, in dem ich es dann doch sein lasse und mir etwas Walking gönne. Nach einigen Metern werde ich schon wieder auf einem Waldweg ausgespuckt und kann es bei leichtem Gefälle wieder laufen lassen. Doch die nächste Steigung kommt schon nach knapp einem Kilometer und jetzt muß ich mich nachhaltig den Berg hochschleppen. Ich werden von einem anderen Läufer überholt, der mir sagt, daß es nicht mehr weit bis zum Ende der Steigung ist. Er geht auch nur, aber mich frustriert total, daß er mich selbst im Gehschritt deutlich abhängt. Das ist jetzt ein typischer Fall von "Der Geist ist willig, aber....".
Hoppla, was ist das? Ah, vor lauter Ärger habe ich nicht gemerkt, daß es wieder flach ist. Jetzt kann es doch eigentlich nicht mehr all zu weit bis zur Himmelsleiter sein. Und siehe da: der Einstieg. Und Caro ist auch schon wieder da. Das ist jetzt genau die Stelle wo ich ein vertrautes Gesicht sehen muß, daß mir Mut zuspricht, denn was jetzt kommt wird hart - echt hart.
Die Himmelsleiter vom Heidelberger Schloß auf den 567 Meter hohen Königstuhl ist eine 1.200 unregelmäßige Sandsteinstufen umfassene Naturtreppe. Davon ca. 3/4 im Rahmen des Trail Marathons zu bewältigen. Und wo? Bei Kilometer 34. Ja, genau. Da wo sonst der Typ mit dem Hammer steht. Eigentlich vollkommen ok hier jetzt nochmal eine 20%ige Steigung einzubauen - man spürt ja sowieso nichts mehr und keiner muß sich für den jämmerlichen Anblick entschuldigen.
Soundtrack: "I'm on a highway to hell!" blastet es aus einer Box. Yeah! Ich feuere mich innerlich an während ich die ersten Stufen nehme. Und schon rempelt von hinten ein Staffelläufer an mir vorbei und meckert auch noch, daß ich doch Platz machen soll. Also ich bin ja auch schon selbst Staffeln mitgelaufen (wenn auch nicht mehr in den letzten Jahren), aber das hat mich doch echt angekotzt. Da quält man sich einen ab und wird an der schwersten Stelle von so einem Typen übersprintet, der sich dann auch noch beschwert, daß ich mich vor ihm quasi auf der Treppe ausruhe. Eigentlich ist es respektlos den Einzelläufern gegenüber wenn man sich auf den letzten 10 km vorführen lassen muß, wie lahm man doch mittlerweile geworden ist. Musste einfach mal gesagt werden.
Egal - jetzt heißt es erst recht "kick ass". Jeder Schritt tut weh und der nächste Schritt ist
noch schmerzhafter. "Die Entdeckung der Langsamkeit" heißt ein deutscher Bestseller von Sten Nadolny aus den 80er Jahren. Ich glaube ich muß das Buch neu schreiben. Beim nächsten kreuzenden Waldweg ein komplett unglaubwürdig anfeuernder Student: "Du siehst gut aus! Ihr schafft das! Nur noch 200 Stufen!" Wie bitte??? Ach behalte doch Deinen Sch... für dich. Ok, ich merke daß ich jetzt abolut hypersensibilisiert für alle möglichen Umwelteinflüsse bin. Aber endlich lehnt sich gefühlte die "Königstuhl-Nordwand" etwas zurück. Das muß der Ausstiegskamin sein - oder so ähnlich. Der niedrige Sauerstoffgehalt in der Höhe macht sich bemerkbar. Ich steige oben aus und bin mir jetzt sicher, daß ich unter akuter Höhenkrankheit leide: ich wate durch ein Schneefeld - klarer Fall von Halluzinationen! Doch nein, das ist also die angekündigte Überraschung auf dem letzten Gipfel: die Veranstalter haben aus der nahen SAP-Arena Schneereste angekarrt, die wohl beim Eis machen für die Eishockey-Spielfläche anfallen. Gelungener Gag, finde ich. Im Vergleich zum diesjährigen Karwendel-Berglauf zwar überschaubar, aber für Heidelberger Verhältnisse ein echter Gletscher.
Gleich danach auf dem Königstuhl-Gipfel die letzte Verpflegungsstation - ich esse in Ruhe noch eine Banane und trinke eine Cola. Der Zuckerrausch muß mich ins Ziel tragen. Jetzt steht der Streckenabschnitt an, vor dem ich im Vorfeld am meisten Respekt hatte. Natürlich war die Himmelsleiter eine Qual. Gefährlich ist es aber, wenn man sich nach dieser Qual mit weichen Haxen ohne viel Schmalz in einen gerölligen Downhill stürzt. Der Trail ist jetzt wieder schmal und das Geröll lose und spitz. Klassisches "You fall, you die"-Gelände würde man beim Skifahren sagen. Ok - ich neige jetzt dazu etwas zu dramatisieren. Aber wie ich später erfahre ist Thomas hier gestürzt und hat sich einige Schrammen zugezogen. Ich lasse es dennoch laufen und mache wieder einen auf Gams. Vor meinem Auge läuft das Video ab, daß ich noch wenige Tage dazu auf YouTube gesehen habe: Kilian Jornet im Downhill beim Limone Extreme Skyrace in aberwitzigem Tempo. Noch einmal werde ich auf einen Waldweg ausgespuckt, der sich dann wieder leicht, aber ziemlich gemein nach oben zieht. Trotzdem geht alles noch gut, wenn auch zäh im Lauftempo und der nächste Gerölltrail folgt. Schon naht die Molkenkur. Auf dem Trail parallel zur Straße stürzt direkt vor mir noch eine Frau, der aber glücklicherweise nichts passiert ist. Dann geht es ein paar Stufen runter und überaschenderweise ist Caro noch mal hier. Dieser Treffpunkt war nicht ausgemacht und ich freue mich total. Da ich jetzt weiß, daß ich auf jeden Fall finishen werden, spüre ich schon einen wohligen Temperaturschub in mir.
Nach der Molkenkur wird es aber nochmal kurz heiß: der Trail ist matschig und entsprechend rutschig. Hier sind jetzt die erfahrenen Skifahrer klar im Vorteil. Rutschen muß mit einkalkuliert sein. Das Stück endet direkt oberhalb des Schloßes und es geht nochmal 100 Meter auf der Straße bergauf. Muß das jetzt noch sein? Egal. Über den
Schloß-Wolfsbrunnen-Weg geht es beim alten Schloßhotel in den Schloßgarten. Das Schaulaufen durch diesen kurz vor dem Ziel war vom Veranstalter noch als Highlight beworben worden, aber ich finde es ehrlich gesagt recht trist. Es sind kaum Leute da, und die wenigen haben sicher keine Läufer erwartet. Im Park war auch noch ein großes Veranstaltungszelt (leer) aufgebaut, welches umrundet wurde. Eigenartige Atmosphäre.
Jetzt nur noch bergab auf schmalem Weg durch den Schloßgarten und schon bin ich wieder in der Altstadt. Hier am Ende der Fußgängerzone ist fast gar nichts los und selbst am Marktplatz sind noch kaum Zuschauer. So kann ich aber nochmal das erfolgreiche Finish kurz für mich alleine genießen. Es ist einfach ein Wahnsinnsgefühl wenn man genau weiß, daß man in wenigen Sekunden ein so großes Ziel erreicht.
Auf einmal wird es laut - der Zielkanal ist jetzt doch deutlich mit Zuschauern gefüllt. Ich ziehe nochmal den obligatorischen Schlußsprint an. Egal wie hart das Rennen war - ich finde es ist einfach eine Frage der Ehre auch auf den letzten Metern alles zu geben. Wenige Meter vor dem Ziel sehe ich Caro und meine Eltern auf der Seite und mir schießen die Tränen in die Augen.
Totale Euphorie! Meine Zeit von 4:39:00 Stunden ist rund 20 Minuten schneller als das anvisierte Ziel.
Ich hole mir ein alkholfreies Bier vom Sponsor und suche gleich nochmal Caro und meine Eltern, die ich hinter dem Absperrgitter finde. Feuchte Augen allerseits!
Es dauert eine ganze Weile bis ich wieder von meinem High runter komme. Erschöpfung verspüre ich erstaunlicherwiese gar nicht - noch nicht. Der Glücksrausch hält erstmal an. Es ist vollbracht! Oder "done and dusted" - wie der Amerikaner sagt.
Mein persönliches Lauf-Highlight in 2013!
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